Leseprobe Generation Z

Nicht zögern

 

 

 Julius setzte das Trinkhorn ab und blickte amüsiert in die Runde. Es hatte ihn nie gestört, dass viele Menschen um ihn herum einige Jahre jünger waren. Im Gegenteil, diese pure Lebensfreude, die ihn umgab, gefiel ihm. Diese Menschen mochte er sehr, denn es war ihnen egal wie alt er war, ob er noch Single oder schon wieder Single war, oder in einer schwierigen Beziehung steckte. Sie nahmen ihn so wie er kam.

Sie hatten ihr Lager gerade erst aufgeschlagen. Wie immer, bei diesen Festen, hatten sich alle gegenseitig geholfen. Das gehörte sich eben einfach so. 

Der Kuss mit dem Regina eben ihren Mann bedachte, ließ in ihm so ein Gefühl von »Mitfreuen« in ihm aufkommen. Sie und Arnold waren ungefähr so alt wie er und hatten sich erst vor kurzem gefunden. Er zog seine Streitaxt aus dem Gürtel und legte sie neben sich auf das Lammfell. Diese Mittelalterfeste waren ganz nach seinem Geschmack, doch das änderte nichts an dem leeren Trinkhorn. Julius stand auf, um sein Horn wieder am Fass zu füllen.

Indes das kühle Bier in das Horn gluckerte, sah er noch einmal zu Arnold und Regina hinüber und erschrak. Woher die Frau gekommen war, konnte er nicht einmal erkennen, doch sie sprang den Mann in der Tunika eines Kreuzritters an, riss ihn zu Boden und schon Augenblicke später schoss eine Blutfontäne aus dem Hals des Angegriffenen. Reginas entsetzter Schrei gellte über den Platz und Julius konnte nicht fassen, was er sah.

Ein Scherz?

Wenn ja, war das ein verdammt schlechter und er würde mit Arnold reden müssen. Da hörte er hinter sich einen Schrei und als er sich umwandte, sah er wie eine andere, ihm ebenfalls völlig fremde Person einen Marktbesucher zu Boden riss, und schon begann um ihn herum lautes Geschrei. Menschen begannen zu rennen, schienen alle zeitgleich dem Ausgang zu zustreben. In ihrer Panik behinderten sie sich nicht nur gegenseitig, sie waren auch geneigt Gewalt anzuwenden und die Menschen um sich herum gnadenlos zu Boden zu stoßen.

Er sah noch, wie Regina zu Boden gerissen wurde und wich, halbwegs geschickt, einem jungen, vielleicht 16 Jahre alten Mädchen mit einem pinkfarbenen T-Shirt aus.

Endlich reagierte er und wollte zu seiner Axt greifen, doch die lag noch auf seinem Lammfell, etwa zehn Meter entfernt. Gerade als er sich in Bewegung setzte, griff das Mädchen ihn wieder an, umklammerte ihn mit einer erstaunlichen Kraft und riss ihn halb zu Boden, zumal sie sich mit einem Bein um seines schlang. Er strauchelte und ergriff instinktiv an ihren Hals, in der Hoffnung sie fernhalten zu können. 

Erstaunlich war für ihn, wie viel Kraft diese kleine Person freisetzte. Trotz des zusätzlichen Gewichtes und seines tiefsitzenden Schocks hielt er ihren Hals weiter fest und versuchte zu seiner Axt zu kommen. Ihre Zähne schnappten, trotz der noch unüberbrückbaren Entfernung laut klappernd nach seinem Hals. Dabei erinnerte sie ihn in ihrem Verhalten an einen Tollwütigen Hund.

Unter Aufbietung all seiner Kraft erreichte er fast seinen Platz, doch dann stießen zwei andere Personen, die ebenfalls in einen Kampf verstrickt waren, ihm heftig in die Seite, er strauchelte und stürzte. Zu seinem Glück wurde bei dem Aufprall auf dem Boden nicht nur seine Luft aus den Lungen gepresst, sondern auch das Mädchen von ihm heruntergeschleudert. Im Gegensatz zu ihm, dem sich dabei etwas Spitzes, vielleicht ein Stein, in den Rücken bohrte, schien sie keinen Schmerz zu empfinden und sprang sofort wieder auf die Beine, um sich erneut auf ihn zu werfen.

Er bekam soeben noch seine Axt zu fassen, und konnte sich, in dem er die Waffe am Stil fasste ihren Kopf auf Abstand halten. Jedoch bekam er dadurch auch Gelegenheit die junge Frau genauer zu betrachten. Ihr Gesicht war wutverzerrt, die Pupillen ihrer Augen so blass wie er es nur von Toten kannte. Das blutverschmierte Gesicht erschien ihm wie eine hassverzerrte Fratze, dabei war er sicher, diesem Mädchen noch nie begegnet zu sein. Verzweifelt kämpfte er gegen das erstaunlich starke Mädchen an, welches sich nicht einmal dadurch irritieren ließ, dass der Axtstiel direkt auf ihren Hals gepresst war, und ihr eigentlich das Atmen erschweren sollte.

Langsam wurde ihm klar, dass wohl niemand plötzlich aus den Büschen springen und etwas von »Vorsicht Kamera« rufen würde. Noch einmal brachte er alle Kraft auf, um sie von sich zu stoßen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, die Muskeln in seinen Ohren begannen von der Anstrengung zu brennen.

Genau in dem Moment, in dem ihm klar wurde, dass er nicht mehr lange standhalten würde, erschlaffte das Mädchen über ihm. Schon erschien eine andere junge Frau in seinem Sichtfeld und zog ihren Dolch aus dem Hinterkopf der Kreatur auf ihm. Er wälzte das nun offensichtlich tote Mädchen von sich herab und sprang so schnell er konnte auf die Füße.

Ophelia, seine Retterin hatte den Dolch bereits wieder in der linken Hand, in der sie auch ihren Bogen hielt und nach und nach einen Pfeil nach dem nächsten verschoss. Jedoch wurde auch Julius schnell klar, dass nur die Treffer am Kopf Wirkung zeigten. Treffer an Brust und Schulter schienen von ihren merkwürdigen Angreifern nicht einmal wahrgenommen zu werden. Sie tappten ungelenk voran, ignorierten die Pfeile und stürzten sich anscheinend wahllos auf ihr jeweils nächstes Opfer.

Julius entschied für sich es konnte sich hier nur um einen Alptraum handeln. Und wenn das ein Alptraum war, dann musste er handeln wie in einem Alptraum. Er fasste seine Axt noch einmal fester, schritt energisch auf den, ihm am nächsten wandelnden Angreifer zu und versenkte kräftig und kompromisslos das Axtblatt im Schädel des Mannes. Dieser brach einfach, ohne Klagen oder sonstige dramatische Aktionen zusammen und blieb liegen.

Julius aber ging voran, zwei weitere Männer, einer davon in dem Kittel eines Verkäufers eines Lebensmittelmarktes, schien Julius als erstes zu bemerken, wandte sich ihm zu und brach auch schon zusammen. Gefällt mit einer Axt die Julius selber geschmiedet hatte. Das war sein Hobby. Der Schmied nahm den Schwung der Axt auf, ließ sie kreisen und versenkte das Axtblatt gleich im nächsten Schädel. Aus den Augenwinkeln nahm er einen Angreifer wahr, wandte sich ihm zu, doch in diesem Moment brach die Frau in dem geblümten Sommerkleidchen auch schon zusammen. Ophelias Sax-Messer war ihr in die Schläfe gedrungen. Julius blickte die junge Frau an.

»Jetzt schulde ich dir zwei«, keuchte er, ohne sich bewusst zu sein, dass er noch vor Minuten schockiert und unfähig war, überhaupt zu reagieren.

Da er recht groß gewachsen war, konnte er sehen, dass nun auch andere den Kampf aufgenommen hatten. Einige, besonders aus den Reihen der Besucher, kämpften mit bloßen Händen, andere wehrten sich mit allem, was ihnen zur Verfügung stand. Selbst einige der Besucher hatten offenbar Schwerter oder Äxte zu fassen bekommen.

Er sah einen jungen Mann, der ungelenk mit einem Morgenstern versuchte seine Frau und das Kind zu schützen, die er verzweifelt hinter sich schob. Gerade holte er erneut aus, als hinter der Frau plötzlich ein Mann auftauchte und ohne zu zögern seine Zähne in ihren Hals schlug. Die Frau schrie auf, der abgelenkte Mann wandte den Kopf und schon im nächsten Moment wurden alle drei regelrecht überrannt. Das Kreischen fuhr Julius unter die Haut.

Mittlerweile wuchs die Verzweiflung in ihm. Es erschien ihm fast, als würden die Angreifer immer zahlreicher, je mehr er von ihnen erschlug. Als kämpfe er gegen eine Hydra, die nicht aus mehreren Köpfen, sondern aus mehreren Körpern bestand.

Dann wurde ihm schmerzlich bewusst, dass diese Vermutung zutraf. Denn plötzlich stand Arnold vor ihm, blickte ihn aus den gleichen, verblassten Augen an, wie die anderen Angreifer und stürzte auf ihn zu. Sein Hals war seitlich, da wo er angefallen worden war, zerfetzt und offen. Die ehemals weiße Tunika Blutgetränkt, ebenso wie das Gesicht mit Blut verschmiert schien.

Einen Augenblick war der Schmied wie gelähmt und konnte sich nicht entschließen, den Mann, den er kannte, niederzustrecken.

Er zögerte zu lange.