
An Tagen wie diesen ...
Freitag, 9:52 Uhr Ortszeit,
Empire State Building, New York, USA
Es ist einer dieser eisig kalten Herbstmorgen in New York. Zwischen den Wolkenkratzern fliegen nur wenige Vögel.
Geschäftige Broker eilen, das Trendhandy am Ohr, die Mantelkragen hochgeschlagen, zur Arbeit. Ein sonniger, friedlicher Tag, an dem trotz der hektischen Atmosphäre, an manchen Stellen doch noch eine gewisse Gemütlichkeit vorherrscht.
Die Kaffeeverkäufer und Kioskbesitzer verbreiten diese Atmosphäre. Diese Atmosphäre, die ein New Yorker als „Heimat“ bezeichnen würde.
So mancher dieser New Yorker nimmt sich trotz aller Hektik die Zeit, in Ruhe einen Becher „Mudd“ zu schlürfen, die Finger an dem heißen Becher zu wärmen und den Blick auf die Schlagzeilen der „New York Times“, oder auf die vorbeieilenden Passanten zu werfen.
Und über allem ragt die stolze Silhouette des Empire State Building empor. Zurzeit gerade mal wieder das höchste Gebäude der Stadt.
Freitag, 9:53 Uhr Ortszeit,
Empire State Building, NY, USA
Das Krachen ist so gewaltig, wie es selbst das ewig pulsierende und lärmende New York noch nie gehört hat. Anders als das World Trade Center damals, welches noch eine kleine Weile stand, fällt das Empire State augenblicklich in sich zusammen. Auch einige umstehende Wolkenkratzer fallen zusammen oder werden schwer beschädigt. Die Anzahl der geborstenen Scheiben ist nicht zählbar und wird nie gezählt werden.
Schon kurz nach dem Knall, - der so gewaltig war, dass der anschließende Augenblick der Ruhe den Eindruck erweckt, dass der sonstige Lärm verschluckt wurde - steigt ein riesiger Rauchpilz in den Himmel.
In der Nähe des Empire State hat dieser Pilz die Wirkung einer Sonnenfinsternis. Es wird dunkel. Noch zwei Blocks weiter sind Menschen regelrecht verdampft. Die Liste der Vermissten, die Tage später veröffentlicht wird, soll später als Liste der Opfer bezeichnet werden.
Das Unfassbare ist geschehen: Eine Atomexplosion, mitten in New York!
Freitag, 10:42 Uhr Ortszeit,
White House, Washington D.C., USA
Der Präsident macht einen geschockten Eindruck, seine Stimme ist belegt, seine Nachricht unfassbar:
„Heute, um 9:53 Uhr Ortszeit, sind die Vereinigten Staaten, erneut, Opfer eines unfassbar grausamen und hinterhältigen Anschlags geworden. Wir wissen noch nicht, wer für diese Atomexplosion verantwortlich ist, aber wir werden die Schuldigen finden und mit aller Härtebestrafen. Viele Bürger unseres Landes wurden Opfer einer....“
Der Präsident spricht lange. Er schwört die Bürger ein auf die Vergeltung, die folgen muss, wenn viele Tausend Amerikaner Opfer eines Attentates werden.
Samstag, 12:11 Uhr Ortszeit,
Washington D.C. USA
Jean Louis le Beau und Walter Hermetz treffen sich in einem Diner. Die beiden haben mehr gemeinsam als ihre offizielle Tätigkeit in den Botschaften ihrer jeweiligen Nation.
Schon viele Jahre vorher haben sie sich in Nahostkennengelernt. Keiner von beiden ist wirklich das, was er vorgibt zu sein.
„Jean Louis, wir müssen handeln. Wenn die das Durchziehen bedeutet es das Ende der uns bekannten Zivilisation.“
Walters Stimme ist leise, mehr ein Flüstern. Jean Louis ist nervös. Er hat seinen Milchkaffee so lange gerührt, bis er endgültig kalt war. Dann hat er die Tasse angesetzt, genippt und geflucht.
„Merde, diese Amerikaner. Die kochen sogar ihren Kaffee kalt.“
Jean Louis hat sein Feuerzeug vermutlich nur einmal benutzt, seit sie da zusammensitzen, um seine erste Zigarette anzuzünden. Alle Zigaretten danach hat er an ihren Vorgängern entzündet.
Seine Hände zittern, er ist unrasiert. Walter hat seinen Freund noch nie in einem so desolaten Zustand erlebt.
„Was sollen wir beide schon tun, Walter? Wir sind allein, und wir haben keine Beweise.“
„Die Russen haben Beweise. Die können uns helfen.“
„Das werden sie nicht tun, mon Ami. Du weißt warum.“
„Wir müssen es zumindest versuchen, Jean Louis.“
Wütend reißt Walter dem Franzosen die Zigarette aus der Hand.
„ Was ist überhaupt los? Ich kenne dich nicht wieder. Hast Du Angst?“ Le Beau sieht seinen deutschen Freund einen Augenblick an, mustert ihn, seine Augen füllen sich mit Tränen.
„Marie, meine Frau. Sie ist gestern Morgen zum Einkaufen gefahren. Nach New York. Unsere Tochter wollte das Empire State Building sehen...“ Die Stimme des Mannes bricht.
Auch dem Deutschen sitzt nun ein Kloß im Hals. Er kennt Marie… oder besser: er kannte sie.
Als Walters Frau starb, haben Jean Louis und Marie ihm sehr geholfen. Einen Augenblick schweigen beide. Lassen ihren Gedanken freien Lauf.
Der Franzose, vom dem Walter lernte, wie man eine Garotte benutzt, der in seinem Leben schon mindestens zwei Staatsfeinde der „Grande Nation“ mit bloßen Händen tötete, lässt seinen Tränen freien Lauf. In diesen Tagen ist es in den USA nichts ungewöhnliches, weinende Menschen zu sehen.
Erste Schätzungen erwähnen eine Zahl von ca. 600- bis800.000 Opfern. New York war groß.
Sonntag, 20:09 Uhr Ortszeit,
Berlin, Deutschland
Der Deutsche Bundeskanzler ist mit der Situation offenbar überfordert. Vor wenigen Minuten hat er mit dem amerikanischen Präsidenten gesprochen. Sie haben lange geredet. War doch die Situation, zwischen den beiden, in den vergangenen Jahren eher gespannt. Der Kanzler versteht die Aufregung des Präsidenten, aber Soldaten? Nein. Die deutsche Bundeswehr wirdkeine Angriffskriege... natürlich, Mr. President, Präventivkriege führen... Bitte? Nein, Mr President. Natürlich ist uns .. Bitte? Ich kann das nicht allein entscheiden. Wir haben hier ein anderes System...Ja natürlich, Mr. President.
Montag, 08:09 Uhr Ortszeit,
Berlin, Deutschland
Der Kanzler wendet sich an die Regierung.
Die Deutsche Bundeswehr soll die amerikanischen Bundesgenossen unterstützen. Der Krieg gegen den Terror muss mit aller Härte geführt werden, um zu verhindern, dass so etwas noch einmalpassiert - und dann vielleicht auch noch auf deutschem Boden.
Die Opposition stellt sich quer. Es ist kein Geld da und außerdem sagt das Grundgesetz der Bundesrepublik....
Zur gleichen Zeit treffen sich in Oklahoma Le Beau und Hermetz mit Angehörigen der Sowjetischen und der Südkoreanischen Botschaft.
Le Beau wirkt wie ein Schatten seiner selbst und der Deutsche macht sich große Sorgen.
„ Wir müssen diese Beweise an die richtigen Stellenweiterleiten....“
Ein Telefon. Kein Klingeln. Nur ein kleines blinkendes Lämpchen. Der Mann am Schreibtisch nimmt ab. Er meldet sich nicht, denn wer dieses Telefon anruft, der weiß wen er sprechen will.
„Hallo?“ klingt es aus dem Hörer. „Sind Sie dran?“
„Hören sie es noch klingeln?“ Die Stimme des Angerufenen hat einen aggressiven Ton angenommen.
„Okay, gut. Wir haben gesehen wie der Franzose und der Deutsche sich mit zwei Agenten getroffen haben. Der eine ist ein Russe, von dem anderen wissen wir noch nichts. Vermutlich ein Koreaner oder so. Sie haben Beweise. Es wurden Telefongespräche abgehört. Siewollen diese Beweise an die UN geben.“
„ Das darf nicht geschehen. Sie wissen was zu tun ist.“
Dann legt er den Hörer auf.
Dienstag, 11:32 Uhr Ortszeit,
Berlin, Deutschland
In der Zentrale des Bundesnachrichten-dienstes laufen die Telefone heiß. Einer der besten deutschen Agenten ist tot!
Hermetz hat sich in einem Hotelzimmer in Oklahoma eine Kugel in den Kopf gejagt. In einem Abschiedsbrief erklärt er, dass er mit der Tragweite seiner Handlungen nicht weiter leben kann.
Der Brief ist mit einer Maschine geschrieben. Hermetz Vorgesetzter kocht innerlich vor Wut.
Hermetz würde einen solchen Brief niemals mit dem Maschine schreiben. Er hasste es, Maschinengeschriebene Briefe zu bekommen. Zu seinem Vorgesetzten hatte er einmal gesagt:
„Karl, es gibt nichts Übleres für mich, als diese Maschinenbriefe. Ich finde, solche Briefe bringen einfach nichts Persönliches rüber. Sie sind kalt.“
Hermetz hat sich nicht das Leben genommen, so viel ist klar.
Aber wer hat ihn getötet?
Mittwoch, 9:11 Uhr Ortszeit,
Washington D.C. USA
Da in New York der Ausnahmezustand herrscht, tagen die Vereinten Nationen vorübergehend in Washington. Man musste ja eine Regelung treffen.
Le Beau hält den Aktenkoffer so fest, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Ihm ist klar, dass er die USA wahrscheinlich nicht lebend verlassen wird, aber das ist ihm gleich. Er muss in das UN-Gebäude, egal wie.
Sein Leben ist nicht mehr wichtig. Er schaut auf seine Uhr. Eine Schweizer Uhr. Ein Geschenk von Marie. Zum Hochzeitstag.
*
Durch das Zielfernrohr des Präzisionsgewehres kann der Schütze sogar sehen, dass Le Beau sich morgens beim Rasieren geschnitten hat.
Das Fadenkreuz pendelt sich auf eine Stelle kurz oberhalb von Le Beaus linkem Ohr ein. Der Zeigefinger am Abzug des Gewehres sucht den Druckpunkt.
*
Die Frau, die Le Beau anrempelt, will sich eben entschuldigen, als ihr Gesicht sich in eine blutende, offene Wunde verwandelt.
Ihr Blut spritzt über Le Beaus Gesicht.
Er reagiert geistesgegenwärtig und lässt sich fallen. Für den Bruchteil einer Sekunde denkt er daran, dass er Glück hatte, nicht vom ausgetretenen Geschoss getroffen worden zu sein. Um ihn herum entsteht plötzlich Hektik.
Eine Frau beginnt zu schreien und versucht wegzurennen. Sie fängt dabei das nächste Geschoss, dass für Le Beau gedacht war. Sicherheitsleute, abgestellt zum Schutz desprovisorischen UN Gebäudes, ziehen ihre Waffen und zielen nervös auf die umliegenden Dächer.
Vereinzelt fallen Schüsse.
*
Der Scharfschütze murmelt einen Fluch, bevor er sich zurückzieht. Bei dem Russen gestern Abend war es einfacher.
*
Zwei der Sicherheitsbeamten helfen Le Beau auf die Füße.
„ Sind Sie verletzt, Sir. Können wir Ihnen helfen?“
„ Nein“, stammelt Le Beau.
„ Kommen Sie, Sir. Hier entlang.“
Der Beamte zieht LeBeau in Richtung UN-Eingang.
Praktisch für Le Beau. Da wollte er doch hin.
Mittwoch, 14:45 Uhr Ortszeit,
Washington D.C. USA
Der französische UN-Beauftragte hat sich Redezeit erbeten. Nach einer langen Rücksprache mit Paris weiß er nun, was er zu tun hat.
Aber er hat Angst. Denn er weiß nicht, was passieren wird, wenn er nun aufsteht, und die wahren Schuldigendes Anschlags von New York nennt.
Wenn er die Beweise vorlegt, die Nord-Koreas Unschuld belegen und zugleich den wahren Schuldigen entlarven. In Paris, Berlin, Moskau, Peking und vielen anderen Hauptstädten der Welt laufen zu diesem Zeitpunkt bereits erste, streng geheime, Krisensitzungen. Wie wird die Weltöffentlichkeit reagieren?
Wie werden die wahren Schuldigen an dem Attentat in New York reagieren?
Bestimmt nicht gut.
Mittwoch, 21:45 Uhr Ortszeit,
Washington D.C. USA
„... hat ein weiteres, brutales Attentat die Weltöffentlichkeit erschüttert. Heute Nachmittag, gegen14:45 Uhr Ortszeit explodierte eine Giftgasgranate im provisorischen Hauptsitz der UN in Washington. Keiner der anwesenden Personen überlebte dieses tragische...“
Telefone laufen heiß.
Die Unterlagen, die den wahren Schuldigen entlarven, sind nicht nur nach Washington zum UN-Gebäude gebracht worden.
Faxgeräte waren schneller. Kopien gelangten überall hin.
Moskau, Peking, Berlin, Paris, Tokio, Seoul....
Man wird dieses Attentat nicht hinnehmen, auf keinen Fall. Auch nicht von ihm. Erst recht nicht von ihm!
Freitag, 08:45 Uhr Ortszeit,
Ein einfaches Stück Wüste in Nevada
Keine rhythmischen Sirenen, kein Rotlicht, kein Gerenne.
Der Wüstenboden teilt sich.
Einfach so, wie von Geisterhand.
Langsam, ruckfrei, fast majestätisch wachsen die Spitzen der Interkontinentalraketen aus dem Wüstenboden.